Eigentlich fing der Roman recht harmlos an...: eine Beschreibung über den tragischen Tod eines Obdachlosen, Auszüge aus einem Buch über "Ungelöste Kriminalfälle" des 20. Jahrhundert und ein neugieriger Journalist, der im Privat- und Berufsleben mit den unterschiedlichen Problemen behaftet ist. Ob das wohl noch ein Krimi werden kann, wie ich sie von der Autorin kenne? Der "Romanheld" Michael Deacon recherchiert in der Vorweihnachtszeit für eine Story über Obdachlose und bringt mit seinen wilden Verschwörungstheorien eine Lawine ins Rollen. Minette Walters widmet diesen Roman fast auschließlich männlichen Protagonisten. Und ich hatte an deren Dialogen einen Riesenspaß. Der Journalist schart - mehr oder weniger freiwillig - die skurilsten Personen um sich und allein die beschriebenen Zusammenkünfte waren das Lesen wert. Aber darum ging es eigentlich nicht, sondern warum die Architektin Amanda Powell die Bestattungskosten für einen Unbekannten übernommen hatte. So ein richtig spannender Krimi wollte nicht entstehen, aber dafür ein ungemein interessantes Geflecht von Lüge, Betrug und Verschleierungen. Nebenbei bietet die Autorin einen interessanten Einblick in das Obdachlosenmilieu von London (Hätte für mich sogar etwas mehr ausgebaut werden können). Ein junger Streuner scheint das große Los gezogen zu haben. Einem verschrobenen Muttersöhnchen wird entsprechende Starthilfe geleistet. Familiäre Probleme des Romanhelden werden ausgeräumt. Und zum Ende hin bekommt jeder was er verdient. Der Text wird - wie auch schon in anderen Romanen der Autorin - mit informativen Zwischentexten bestückt: Buchauszüge, Zeitungsartikel, Polizeiberichte und Faxe. Minette Walters läßt darin auch die Romanfigur Anne Catrell aus "Im Eishaus" , mithilfe eines von ihr verfassten älteren Zeitungsartikel zu den Lebensumständen der vermißten Personen, zu Wort kommen. Mir hat der Roman gefallen, auch wenn es meines Erachtens nach kein Krimithriller war. "Unsere Gesellschaft befindet sich in tiefen Schwierigkeiten, wenn wir das Leben eines Menschen für so wertlos halten, daß die Art seines Sterbens das einzig Interessante an ihm ist."