Was geschah eigentlich nach der Wende mit den Menschen, die sich beim Zusammenbruch der DDR in ihrer Lebensmitte befanden, die, mehr oder weniger "freiwillig",in dem System heimisch geworden waren, es sich "behaglich" eingerichtet hatten, die berufliche oder private Ziele verfolgt oder schon erreicht hatten??? Durch den politischen Umbruch hatten sich fast schlagartig die Rahmenbedingungen geändert- und das blieb natürlich auch nicht ohne Auswirkungen auf die Biographien vieler Ex- DDR - Bürger ... In 29 Kapiteln erzählt Ingo Schulze von einigen davon; und da die Handlung in einem ostdeutschen Provinzstädchen angesiedelt ist, hängen die Personen darin alle auf die eine oder andere Weise zusammen. Martin Meurer zum Beispiel wollte Kunsthistoriker werden. Doch zu der Zeit, da er eigentlich seine Dissertation hätte schreiben sollen waren alle Studenten auf der Straße, so wie auch er - und als endlich wieder Ruhe eingekehrt war, waren die Professoren und Assistenten ausgewechselt, und er hätte nochmals neu anfangen müssen. Aber von irgend etwas muss man auch leben; Arbeit als Kunsthistoriker war ohnehin illusorisch, aber als er seinen Führerschein abgeben muss, war auch noch der Vertreterjob in Gefahr. Danny arbeitet als Journalistin bei einer kleinen Zeitung. Doch ihre Artikel über Ausländerfeindlichkeit und Skinheads vertragen sich nicht gut mit Anzeigenkunden; dass sie außerdem den Herausgeber der Zeitung abblitzen lässt, kostet sie den Job. Ernst Meurer, Martins Stiefvater, war gewiss ein guter Lehrer. Danach war auch nach der Wende kein Zweifel. Aber seine Gesinnung, seine Parteitreue - das war plötzlich unhaltbar geworden. Der Vorgesetzte seiner Frau hatte es da schlauer angefangen, der war nach der Wende gleich wieder erfolgreich. Aber etwas Dreck am Stecken hat doch jeder. Dann wird Martins Frau überfahren, Fahrerflucht. Mit Tino, dem Sohn kommt nur Danny zurecht. Ihr Freund kommt dafür mit Tino nicht zurecht. Die Frau, die Andrea überfahren hat, hatte erst an einen Dachs gedacht. Und dann gibt es noch die Geschichten von Hanni, Pit, Patrick, Lydia, Marianne, Christian, und und und... Kurz: zu viele Geschichten. Ingo Schulze hat den Roman an sich wunderbar komponiert; die eigentlich voneinander unabhängigen Geschichten, die dann eigentlich überraschend doch zusammenhängen, in denen immer mal wieder ein Stück aus einer anderen Perspektive erzählt wird, ohne Erklärungen, ohne langatmige Einführung der Person... Und trotz der vielen verschiedenen Protagonisten, wird man irgendwie das Gefühl nicht los, dass Ingo Schulze in erster Linie über sich selbst und seine eigenen Gedanken und Erlebnisse schreibt. Die unterschiedlichen Personen, die sich durch zahlreiche Dialoge im Roman zu Wort melden, scheinen ihm somit vorwiegend als Sprachrohr für seine eigenen Ansichten und Emotionen zu dienen. Ein Buch über die Befindlichkeiten einer zwischen Ost und West "verlorenen" Generation, zwischen Aufbruchsstimmung und Resignation. Zu jung, um sich mit der DDR zu identifizieren, zu alt, um im Westen wirklich anzukommen. Wer sich nicht nur für bloße Daten und Fakten in den Geschichtsbüchern interessiert, sondern auch bereit ist, sich ein wenig in die Menschen dieser Periode unserer jüngeren (aber leider manchmal schon etwas in Vergessenheit geratenen) deutsch-deutschen Geschichte hineinzudenken und zu -fühlen, der sollte dieses Buch unbedingt lesen.Vollständige Rezension lesen
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